Robert Walser:
Das Stellengesuch
Hochgeehrte Herren!
Ich bin ein armer, junger, stellenloser Handelsbeflissener, heiße Wenzel, suche
eine geeignete Stelle und erlaube mir hiermit, Sie höflich und artig anzufragen,
ob vielleicht in Ihren luftigen, hellen, freundlichen Räumen eine solche frei
sei. Ich weiß, daß Ihre werte Firma groß, stolz, alt und reich ist, und ich darf
mich daher wohl der angenehmen Vermutung hingeben, daß bei Ihnen ein leichtes,
nettes, hübsches Plätzchen offen ist, in welches ich, wie in eine Art warmes
Versteck, hineinschlüpfen kann. Ich eigne mich, müssen Sie wissen, vortrefflich
für die Besetzung eines derartigen bescheidenen Schlupfwinkels, denn meine ganze
Natur ist zart, und mein Wesen ist ein stilles, manierliches und träumerisches
Kind, das man glücklich macht dadurch, daß man von ihm denkt, es fordere nicht
viel, und dadurch, daß man ihm erlaubt, von einem ganz, ganz geringen Stück
Dasein Besitz zu ergreifen, wo es sich auf seine Weise nützlich erweisen und
sich dabei wohlfühlen darf. Ein stilles, süßes, kleines Plätzchen im Schatten
ist von jeher der holde Inhalt aller meiner Träume gewesen, und wenn sich jetzt
die Illusionen, die ich mir von Ihnen mache, dazu versteigen, zu hoffen, daß
sich der junge und alte Traum in entzückende, lebendige Wirklichkeit verwandle,
so haben Sie an mir den eifrigsten und treuesten Diener, dem es Gewissenssache
sein wird, alle seine geringfügigen Obliegenheiten exakt und pünktlich zu
erfüllen. Große und schwierige Aufgaben kann ich nicht lösen und Pflichten
weitgehender Natur sind zu schwer für meinen Kopf. Ich bin nicht sonderlich
klug, und was die Hauptsache ist, ich mag den Verstand nicht gern so sehr
anstrengen, ich bin eher ein Träumer als ein Denker, eher eine Null als eine
Kraft, eher dumm als scharfsinnig. Sicherlich gibt es in Ihrem weitverzweigten
Institut, das ich mir überreich an Ämtern und Nebenämtern vorstelle, eine Art
von Arbeit, die man wie träumend verrichten kann. - Ich bin, um es offen zu
sagen, ein Chinese, will sagen, ein Mensch, den alles, was klein und bescheiden
ist, schön und lieblich anmutet, und dem alles Große und Vielerforderische
fürchterlich und entsetzlich ist. Ich kenne nur das Bedürfnis, mich
wohlzufühlen, damit ich jeden Tag Gott für das liebe, segensreiche Dasein danken
kann. Die Leidenschaft, es weit in der Welt zu bringen, ist mir unbekannt.
Afrika mit seinen Wüsten ist mir nicht fremder. So, nun wissen Sie, was ich für
einer bin. Ich führe, wie Sie sehen, eine zierliche und geläufige Feder, und
ganz ohne Intelligenz brauchen Sie sich mich nicht vorzustellen. Mein Verstand
ist klar; doch weigert er sich, Vieles und Allzuvieles zu fassen, wovor er einen
Abscheu hat. Ich bin redlich, und ich bin mir bewußt, daß das in der Welt, in
der wir leben, herzlich wenig bedeutet, und somit hochgeehrte Herren, warte ich,
bis ich sehen werde, was Ihnen beliebt zu antworten
Ihrem in Hochachtung und vorzüglicher Ergebenheit ertrinkenden
Wenzel.
Quelle:
Robert Walser: Kleine Wanderung, Stuttgart 1963, Reclam 8851, S. 637.
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